Prof. Dr. habil. KARIN PETERS Institut für Romanistik der Universität Bonn
Prof. Dr. habil. KARIN PETERS Institut für Romanistikder Universität Bonn

Aktuelle Kurse

Wintersemester 2023/24

 

 

Spektakelkultur: Anthropologie und/als Theater (Vorlesung Französisch/Italienisch/Spanisch)

 

Das Rollenspiel ist vielleicht eine der ältesten menschlichen Kulturformen schlechthin. Es umfasst Elemente der Praxis, Mimesis und Poetik, berührt so zentrale Fragen wie Subjektivität, Affektivität, Ritualität oder Gemeinschaft, ja das Menschsein überhaupt. Im Bereich der Literaturwissenschaft hat Wolfgang Iser (Das Fiktive und das Imaginäre, 1991) das Forschungsfeld der Literarischen Anthropologie deshalb unter anderem damit aus der Wiege gehoben, dass er das Fingieren und die Einübung in Fiktionalität, die das Spiel mit Masken erlaubt, als kulturhistorische Wasserscheide der westlichen Zivilisation auffasst. René Girard wiederum hat eine ganze Theorie der menschlichen Kultur aus der Nähe des Theaters zum rituellen Opfer entwickelt (La violence et le sacré, 1972). Und schon bei Sigmund Freud, der zeitlebens eine große Vorliebe für die Werke Shakespeares pflegte, wird die analytische Modellierung psychischer Prozesse (zum Beispiel als ‚Privattheater‘ der Hysterikerin) in die Sprache des Spektakels übersetzt. Historisch kann man jedoch noch weiter zurückgehen: Von der Predigt des christlichen Mittelalters über das Hofzeremoniell der Frühen Neuzeit, das Gefühlsspektakel der Aufklärungsepoche, die bürgerliche Oper des 19. Jahrhunderts bis zu Gender-Performanz und Ich-Medialisierungen der Gegenwart sind immer wieder das Spektakel und die theatrale Darstellung zentral, um Anthropologie und Gesellschaftstheorie der jeweiligen Epoche zu begreifen.

 

Die Vorlesung wird deshalb aus kulturwissenschaftlicher Perspektive ebenfalls unterschiedliche kulturelle Objektivierungsformen von Anthropologie und/als Theater der Romania in den Blick nehmen. Aus historisch und kulturell vergleichender Perspektive werden unterschiedliche literarische und kulturelle Praktiken des (rituellen) Spiels einer zunehmenden Theatralisierung der politischen und ökonomischen Macht gegenübergestellt. Dabei soll ein besonderer Fokus auf der marxistischen Kritik an der objektivierenden „Spektakelkultur“ (G. Debord, 1971, M. Vargas Llosa, 2012) unserer kapitalistischen Gegenwart liegen, die ihr Publikum vereinsamen lässt und das Erleben partizipativen Spiels verhindert – schon J.-J. Rousseau veranlasste dies zu einer Fundamentalkritik am Theater. Zugleich mündet seit Rousseau und der bürgerlichen Epoche die Spektakelkultur zunehmend in eine Spektakularisierung der westlichen Subjekte ein, ohne die moderne Textformen wie der Roman in seinem Verhältnis zur (nationalen) Geschichte nicht zu denken sind.

 

 

Die Erfindung Amerikas im spanischen Barocktheater (Hauptseminar Spanisch)

 

Der Historiker H. Kamen hat eine Reihe nationaler Mythen untersucht und dabei unter dem Lemma der „Erfindung“ deren Funktion im kulturellen Imaginären der iberischen Halbinsel herausgearbeitet (La invención de España. Leyendas e ilusiones que han construido la realidad española, 2020). Seine Grundthese einer mythischen Verfasstheit nationaler Identität – und ihrer Fiktionalität – wollen wir im Seminar anhand der Epoche des spanischen Barock überprüfen. Eine offensichtliche Leerstelle in der Kulturpoetik und kulturellen Praxis des 17. Jahrhunderts, die ihrer ganz eigenen Erfindungslogik folgt, wollen wir dabei ins Zentrum stellen: Die epistemologische Erfindung Amerikas, die als Strategie der Eroberung verstanden werden muss. Wie T. Todorov (1982) und E. O’Gorman (1958) gezeigt haben, war das Verhältnis Europas zum amerikanischen Anderen immer durch eine überbordende Imagination geprägt. Uns soll es dennoch nicht darum gehen, die wenigen spanischen Theaterstücke, die sich mit dem amerikanischen Thema befasst haben, anstatt es unsichtbar zu machen, allein als willige Zahnräder im ideologischen Getriebe der Macht zu bezeichnen. Vielmehr werden wir ihre gleichzeitige „Ein- und Ausbettung“ (R. Warning) in zeitgenössische Diskurse betrachten. Vor diesem Hintergrund erarbeiten wir gemeinsam die spezifische Theaterpoetik der barocken comedia und widmen uns mit Lope de Vegas El nuevo mundo descubierto por Cristóbal Colón, Tirso de la Molinas Amazonas en las Indias und Pedro Calderón de la Barcas La aurora en Copacabana in detaillierter Lektüre der komplexen semiotischen Leistung von Texten, die zur Erfindung Amerikas beigetragen haben.

 

 

Die Journaux von Marivaux: Zum Blickregime der Moderne (Hauptseminar Französisch)

 

Marivaux wird im Studium meist als Dramatiker oder Romancier gelesen – die Gesellschaftskomödien und seine Marianne gelten als kanonisch. Weniger Beachtung erfahren bisher seine journalistischen Texte in der Tradition der englischen „Spectator“-Schriften (1717-1734). Dabei treffen dort dramatische und romaneske Kommunikation auf einzigartige Weise aufeinander. Vor allem geben die kurzen Texte, die Marivaux für den Mercure de France oder seine eigenen Journaux, Le Spectateur français, L’Indigent philosophe und Le Cabinet du philosophe verfasst hat, ein unterhaltsames Bild der „bürgerlichen Öffentlichkeit“ (J. Habermas) der französischen Frühaufklärung ab. Ihre misanthropische Komik beruht vor allem darauf, dass der Erzähler auf einen kritisch-satirischen Blick reduziert werden kann, der seine Zeitgenossen beobachtet. Als Zuschauer konstituiert er sich in der Rolle des distanzierten, männlichen Erzählers und kritischen Anthropologen der Pariser Gesellschaft. Während er ‚philosophisch‘ klarsieht, bleiben seine Beschreibungsobjekte in diesem Blickregime seltsam blind für sich selbst und werden nur gesehen: wie sie auf der gesellschaftlichen Bühne agieren, bis hin zu dem Moment, wenn sie sich beim Blick in den Spiegel auf die Wirkung ihres Gesichtstheaters überprüfen.

 

Wir wollen im Seminar diese doppelte Inszenierung – als Subjekt und Objekt der Beobachtung – genauer betrachten, insbesondere vor dem Hintergrund der europäischen Mythen ‚rationaler‘ und ‚emotionaler‘ Subjektivität. Dieser Befund soll in den größeren Kontext einer Geschichte der Emotionen gestellt werden, die den westlichen Kult der bürgerlichen Privatheit des Gefühls als einen historisch bedingten Rückzug der Individuen und ihrer Kunst aus der Sphäre der (bio-)politischen Macht interpretiert.

 

 

Juan del Encina: Spanisches Theater zwischen Mittelalter und Renaissance (Hauptseminar Spanisch)

 

Juan del Encina ist in die Literaturgeschichte als Schöpfer des kastilischen Renaissancetheaters eingegangen, als Patriarca del Teatro Español. Nachdem er zuerst Ende des 15. Jahrhunderts Vergils Bucolica für die Katholischen Könige übersetzt, ohne dadurch an deren Hofe wirklich reüssieren zu können, und einige religiöse Weihnachts- und Passionsstücke verfasst, verlässt er Kastilien, um in Italien u.a. am Hof des Borgia-Papstes Anschluss zu suchen. Gegen Ende seines Lebens reist er nach Jerusalem, verfasst darüber aber ein eher enttäuschtes Textzeugnis (Trivagia, 1521). In seinen bekanntesten Schäferstücken jedoch feiert er die Macht des weltlichen Amor. Dabei absorbiert er aus der antiken Welt ein Liebespathos, das sich endgültig vom christlichen Affektprogramm der Devotion und auch von bekannten politischen Allegorieprogrammen löst. In der frühen Representación sobre el poder del Amor etwa gibt er die Urszene dieses Liebespathos zum Besten. Der Text entstand im Jahre 1497 kurz vor dem Tod des noch jungen Kronprinzen Johann, der sich mit der exzessiven Liebe zu seiner Gemahlin Margarete von Österreich aufgebraucht haben soll. In Encinas Einakter legt sich der Schäfer Pelayo mit dem Gott Amor an und wird vom Liebes­pfeil getroffen, der ihn wie tot zurück- sowie der Sorge anderer Schäfer und eines Escudero überlässt. Am Ende wird nicht nur die Allmacht des Liebesgottes bestätigt, sondern als Heilmittel gegen die unheilbare Liebeskrankheit auch ein gemeinsames Lied angestimmt. Der stumme und innere Affekt, der Pelayo getroffen und wortlos gemacht hat, wird dabei in ein äußeres Zeichen – in Sprache – verwandelt.

 

Im Seminar wollen wir uns am Beispiel Encinas und seiner Feier der menschlichen Passionen mit der Frage beschäftigen, wie die Renaissance literarisch und epistemologisch Einzug in Spanien gehalten hat. Anhand kurzer Theaterstücke, die allesamt in der Ausgabe bei Cátedra enthalten sind (Teatro completo, hg. v. Miguel Ángel Pérez Priego, 2008), werden wir dementsprechend unterschiedliche Theaterästhetiken und Affektprogramme zwischen Mittelalter und Renaissance emotionsgeschichtlich und literatursemiotisch unterscheiden.

 

Aktuelle Vorträge:

 

"Exile and friendship in Spanish Early Modern pastoral"


Tagung Pastorale Akademien. Ein globales Phänomen? (Université Sorbonne Nouvelle, Paris)

4.-6. April 2024

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